Besondere Leistungen erfordern besondere Maßnahmen: Als unsere Jugendmannschaft am späten Sonntagabend als Deutscher Meister aus Heidenheim zurück kam, nahm kein Geringerer als Manuel Möller, der Rekordspieler, die Bundesliga-Legende, den jungen Nik Mosier auf die Schultern, um ihn unter „MVP! MVP!“-Rufen der Mitspieler, der Bundesligaspieler, der Fans ins Vereinsheim zu tragen. Der 15-jährige Mosier war bei unserem zweiten Titelgewinn an jenem Tag nicht der einzige Mainzer Baseballer, der über sich hinausgewachsen war, er war der, der im Schlüsselmoment dem höchsten Druck standhielt und die knappe Führung über die letzten beiden Aus brachte.

Es war wahnwitzig, das Finale um die Jugendmeisterschaft. Es war weit jenseits der Grenzen des Normalen. „So ein verrücktes Spiel hatte ich auch noch nicht erlebt“, staunt der Coach Daniel Salzmann noch vier Tage später. „Emotional sind wir durch alle Gefühlslagen gesprungen, von Sorge zu Hoffnung zu Freude zu Ärger… das war eine Achterbahn.“

Unser Nachwuchsteam hatte das Turnier ohne konkrete Ergebnis-Ziele begonnen. Die Südwestmeisterschaft hatten die Spieler der Jahrgänge 2001 bis 2003 ungeschlagen gegen die Saarlouis Hornets, die Kaiserslautern Bears und die St. Ingbert Devils gewonnen. „Wir haben die Favoritenrolle erfüllt, sind relativ klar durchmarschiert“, berichtet Salzmann. Im Turnier um die Deutsche Meisterschaft mit den anderen sieben Regionalmeistern und dem Gastgeber Heidenheim Heideköpfe hatte der Südwestmeister die von der Belastung her etwas leichtere Gruppe – nur drei Gegner, einen weniger als in der anderen Gruppe, dadurch ein Spiel weniger. Regensburg und Heidenheim, die beiden Schwergewichte des deutschen Baseballs, zählten nicht zu den Gruppengegnern, aber mit dem Baden-Württemberg-Meister Neuenburg Atomics, dem Nordrhein-Westfalen-Meister Dortmund Wanderers und den Hamburg Stealers aus dem Nordverband mit der Hansestadt und Schleswig-Holstein gab es trotzdem drei anspruchsvolle Aufgaben. „Neuenburg und Dortmund sind Meister aus großen Landesverbänden“, erklärt Salzmann, „die müssen zwangsläufig großes Potenzial haben. Sonst hätten sie sich nicht gegen die Konkurrenz durchgesetzt.“

Unser Team gewann alle drei Gruppenspiele. „Eng war’s“, sagt jedoch der Coach. Die Atomics stellten im ersten Spiel am Samstag ihren Nationalpitcher Joshua Steigert auf den Mound. „Wir haben gut gehauen gegen ihn“, berichtet Salzmann, „und unser Plan ist perfekt aufgegangen.“ Es gibt strenge Regeln im Jugendbaseball, exakte Vorschriften, die den Einsatz von Pitchern stark einschränken. Unsererseits warfen Kevin Schnorbach, Moritz Klages und Jerome Noso jeweils gegen acht Batter, blieben damit exakt innerhalb der Grenzen, die weitere Einsätze zuließen. Nach 24 gegnerischen Schlagleuten war das Spiel tatsächlich vorbei, wir hatten 9:7 gewonnen.

Gegen Hamburg war’s spannend. Die Stealers hatten einen sehr fest werfenden Niederländer auf dem Mound, der aber ebenfalls nach acht Battern ausgewechselt werden musste. „Auf den haben wir wenig gehauen“, sagt Salzmann, der David Bierwirth bis zur Obergrenze von 24 Battern werfen ließ und im letzten Inning Joshua Limmeroth einwechselte. Der brachte uns mit 3:3 in die Verlängerung. Auch hier gelten Sonderregeln; jedes Team beginnt mit Runnern auf der ersten und zweiten Base. „Das bevorzugt die Gastmannschaft ein bisschen, weil die mit großer Wahrscheinlichkeit zuerst Runs scort“, erklärt Salzmann, „und das haben wir auch gemacht.“ Vier Mann scorten, auch dank eines Fehlers in der Hamburger Defense, auch dank des zweiten Doubles von Maurice Boukadida bis an den Zaun. Die Stealers verkürzten nur noch auf 4:7. „Joshua hat einen Riesenjob gemacht“, lobt Salzmann den Reliever. „Er hat zwei Comebacker gefangen und das Aus an der ersten Base gemacht, das hätte leicht auch anders ausgehen können. Und er hat nervenstark Strikes geworfen. Das predigen wir immer: Das Wichtigste ist, konstant Strikes zu werfen. Das haben alle Pitcher gemacht.“

Gegen Dortmund ging es tags drauf um den Gruppensieg. „Offensiv hatten wir die Wanderers als stärksten Gegner eingeschätzt“, sagt Salzmann, der erneut Schnorbach starten ließ. „Sie sind auch mir sehr viel Elan ins Spiel gegangen, wir lagen schnell hinten, sind aber zurückgekommen, haben Run um Run gescort und gemerkt, wie beim Gegner die Moral nachließ. Bei uns war die Überzeugung, das Spiel trotzdem zu gewinnen, immer da. Jerome Noso hat zwei Doubles gehauen, ab der Hälfte haben wir das Spiel dominiert und uns war klar: Das werden wir uns nicht mehr nehmen lassen.“

Dann kam das Finale gegen den Sieger der Gruppe A, die Regensburg Legionäre. „Das ist gar nicht leicht zu rekapitulieren“, sagt der Coach. Salzmann musste taktieren, musste sich entscheiden, ob er Moritz Klages als Relief Pitcher im Bullpen behält oder als Catcher aufstellt; im gleichen Spiel darf man nicht pitchen und catchen. Klages spielte schließlich an der Platte, damit fehlte ein Pitcher.

„Wir sind nicht als Favorit ins Spiel gegangen“, sagt Salzmann, so ging das Spiel auch los: Die Legionäre gingen gegen Noso im zweiten Inning 6:1 in Führung, legten im dritten vier Runs nach. „Wir waren kurz davor, durch die Ten-Run-Rule zu verlieren“, berichtet Salzmann. „Und dann kam die Offense. Und plötzlich ist dermaßen der Knoten geplatzt, ich weiß nicht wie. Ich kann das heute noch nicht erklären. Wir haben nur noch Hits gehauen und Walks abgeholt, wir haben Regensburg völlig überrannt“ – an seiner Stimme erkennt man, dass der Coach immer noch kaum glauben kann, was da auf einmal los war: „Du bist im Finale gegen Regensburg, liegst 1:10 hinten und die prügeln plötzlich den Ball… da kriege ich immer noch Gänsehaut. Sie haben ihre Pitcher gewechselt, aber egal, wer auf dem Mound war, wir haben jeden wieder runtergehauen.“ 10:0 Runs im vierten Inning brachten uns in Führung, 6:3 Runs im fünften und 2:1 im sechsten bauten diese auf 19:14 aus, auch im siebten legten wir drei Punkte vor.

Auch bei uns gab es Pitcherwechsel. Caelan Sullivan übernahm (und bekam den Win), „er ist das große Kontrastprogramm zu Jerome“, erklärt Salzmann, „nach einem Pitcher, der normal schnell von rechts wirft, kam einer, der langsam von links wirft.“ Max Eckermann war der dritte, aber das Spiel zog und zog sich, und die Legionäre kamen dem Ausgleich immer näher. „Wir hatten acht Runs Vorsprung und brauchten noch drei Aus“, berichtet der Coach. „Aber Regensburg hat nochmal ordentlich Gas gegeben. Ein Inside-the-Park-Homerun, ein Outside-the-Park-Homerun“ – damit immerhin die Bases wieder leer, 22:20, zwei Aus fehlten, Eckermann hatte die Grenze erreicht, musste ausgewechselt werden. Jetzt hätte man Moritz Klages brauchen können, aber der catchte ja schon.

„Ich hatte nur noch eine Option“, sagt Salzmann. „Nik Mosier, der kein Pitching trainiert hatte.“ Sein Auftrag: Noch zwei Aus holen, irgendwie. Egal wie. Los ging es aber mit einem hohen Flyball ins Centerfield, höher als die Flutlichtmasten. „Der Ball war nicht mehr zu sehen“, nimmt Salzmann sein Outfield in Schutz. „Da konnte man nichts machen.“ Weil noch ein weiterer Ball unglücklich fiel, waren die Bases schnell wieder besetzt, kam das 22:21 über die Platte. Dann schaffte Mosier sein erstes Aus, unser zweites in diesem Inning. Und brauchte noch eins. „Der Ausgleich war schon auf der dritten Base“, berichtet Salzmann, „der Siegpunkt für Regensburg an der zweiten. Das ist die stressigste Situation, die man als Pitcher haben kann. Und Nik hat eine wahnsinnige Nervenstärke gezeigt und den letzten Batter ausgestriket. Den letzten Pitch sehe ich noch perfekt vor mir. Der geht nicht besser. Ein bisschen outside, ein bisschen hoch, eigentlich kein Strike, aber zu verlockend, um nicht zu schwingen. Und der Regensburger schwingt vorbei. Und wir sind Deutscher Meister.“

2016-jugendpokal
…und so sieht er aus, der zweite Pokal, den wir am Sonntag nach Mainz holten.

Konkret geplant war das nicht. „Nach dem Finaleinzug hatten wir schon auf den Titel geschielt“, sagt Salzmann, „aber vorher hatten wir kein Ziel definiert. Wir wussten, dass wir ein gutes Team sind. Wir wussten, dass wir ins Finale kommen konnten. Aber wenn man das zu sehr im Blick hat, schafft man es nicht. Wir wollten uns immer nur aufs aktuelle Spiel konzentrieren. Dadurch kommt man ins Finale, dadurch kommt man zum Titel. Wir hatten ein Spiel weniger, wir hatten in jedem Gruppenspiel einen Kampf auf Augenhöhe, ein Großteil des Teams hatte schon eine Woche vorher bei der Junioren-DM gespielt und als Vereinsmannschaft am Länderpokal teilgenommen. Das sprach für uns. Wir waren vorbereitet auf eine toughe Herausforderung.“

Unterm Strich steht nun neben einem MVP, der von Manuel Möller ins Vereinsheim getragen wurde, unser erster Nachwuchstitel seit 2009. Damals gewannen wir die Jugend- und die Juniorenmeisterschaft; einige der damaligen Meisterspieler sind inzwischen im Bundesligateam angekommen. „Auch diesmal haben wir Leute mit Riesenpotenzial“, sagt Salzmann. „Jetzt kommen sie ins Juniorenalter, das ist die kritischste Phase. Aber wenn die Spieler weiter hart arbeiten, werden sie die Bundesliga verstärken können.“

Wir sind gespannt, wohin der weitere Weg von David Bierwirth und Maurice Boukadida, Pius Delzeith und Max Eckermann, Carl und Helene Feldmann, Moritz Klages und Joshua Limmeroth, Elias Mensing und Nik Mosier, Tristan Negrich und Jerome Noso, Finn Rosenzweig und Kevin Schnorbach, Larena Simmons und Caelan Sullivan führt. Einstweilen bedanken sich die Coaches Salzmann, Lucas Turnwald und Luis Meven, aber auch der Vorstand der Mainz Athletics bei allen Helfern und Organisatoren, bei den Spielern und bei deren Eltern, bei jedem, der zum Erfolg beigetragen hat. „Ich bin stolz auf die Jungs“, sagt Salzmann. „Sie sind über sich hinausgewachsen.“ cka / Fotos: Limmeroth, Klages

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