Viertelfinale gegen Bonn? Das kann man packen. Halbfinale gegen Solingen? Ein ganz harter Brocken, aber wenn’s gut läuft, ist auch diese Aufgabe nicht unlösbar. Zumal der Solinger Trainer eine Zusatzmotivation gibt. Aber die Finalrunde gegen Regensburg? Nach vier Niederlagen gegen die Legionäre in der regulären Saison? Und zwei weiteren in den ersten beiden Endspielen? Ausgeschlossen. Sagen sie alle. Keine Chance für die Mainzer. Der Titel ist Formsache für die Regensburger. Am Ende aber rennt Keigo Miyagi mit der großen Athletics-Fahne durch deren Stadion. Die Mainz Athletics haben das kaum Mögliche geschafft. Sie sind Deutscher Meister.

Wer 2006 die Viertelfinal-Rückspiele zwischen den Bonn Capitals und den Mainz Athletics gesehen hat, der dürfte die beiden Spiele so schnell nicht vergessen. Die A’s, die kaum noch Pitcher im Aufgebot hatten, fuhren beim Playoffstand von 1-1 als klarer Außenseiter nach Bonn und holten dort in zwei dramatischen Spielen beide Siege.

Mit dieser Erinnerung im Hinterkopf fahren die A’s zum Auftakt der Playoffrunde von 2007 optimistisch ins herrlich gelegene Stadion in den Bonner Rheinauen. „Unsere Hauptaufgabe wird sein, im ersten Spiel den Henkenjohann zu knacken“, sagt Coach Cae Santos. Das ist nicht ganz einfach: Tim Henkenjohanns 120 Strikeouts in 86 Innings sind ein fantastischer Wert, den nicht mal Manuel Möller (88 in 103 Innings) erreicht. „Henkenjohann ist mit Sicherheit der am härtesten schmeißende Pitcher Deutschlands“, erklärt Teammanager Ulli Wermuth. „Wir haben zuhause gesehen, dass Manuel uns viele Spiele gewonnen hat, das kann Henkenjohann genauso.“

Und das zeigt der Bonner. Seine Mannschaft macht ohne Coach Matze Winterrath und ohne Shortstop Lennart Weller – beide sind mit Nationalmannschaften unterwegs – einen geradezu hilflosen Eindruck, aber Henkenjohann hält die Mainzer fast alleine in Schach. Ein kurzer Wackler von Möller, der sich im vierten Durchgang mit Abwürfen die Bases lädt und nicht aus dem Inning findet, ermöglicht den Capitals eine 4:0-Führung. Henkenjohann verhindert in höchster Not den Ausgleich. Bonn gewinnt 4:2.

„Nach der Niederlage im ersten Spiel dort hätte man sagen können: Wie immer“, erinnert sich Martin Kipphan. „War aber nicht so. Wir wussten nicht, dass die keine Pitcher mehr haben, aber nach dem 2:4 waren die meisten von uns relaxt. Das war ein Ausrutscher, weiter nichts.“

Nationalität
ger GER
Position
Pitcher
Third base
Shortstop
Alter
38
Größe
178
Gewicht
85
Vorherige Vereine
Bonn hat tatsächlich keine adäquaten Pitcher für das zweite Spiel. Der erste wird im zweiten Inning ausgewechselt, der nächste im vierten. Fünf verschiedene Werfer wechseln sich auf dem Bonner Hügel ab. Weil die Führung der Athletics immer deutlicher wird. Nur Kleinigkeiten könnte man bei den Mainzern kritisieren. Dass sie das Spiel nicht zu einem zügigen Ende bringen. Nach drei Innings steht es 9:0, aber nach fünf Innings ist es nicht vorbei und nach sechs immer noch nicht. Nils Hartkopf zwingt den Bonner Jens Winter mit drei Walks nach Hause. Erst im siebten Durchgang erhöhen die A’s auf 13:1. Durch einen Drei-Punkte-Schlag von Hartkopf. Dass es ganz am Ende einen Platzverweis gegen Florian Arnold gibt, ist nicht weiter dramatisch. Der ehemalige Bonner ist nur im ersten Heimspiel gesperrt, Wichtiger ist er im zweiten als Reliever für Keigo Miyagi.

Sofern das seine Fußverletzung zulässt. Santos nennt als Präzedenzfall Curt Schilling von den Boston Red Sox, der in der MLB-Endspielserie 2004 tatsächlich am Ende eine rote Socke trug: „Er hat mit einer offenen Wunde am Fuß besser gepitcht als je zuvor“, sagt Santos. „Beim Pitching macht man eine sehr spezifische Bewegung. Wenn man muss, kann man bestimmte Körperteile schonen.“

Henkenjohanns Fiasko

In den Rückspielen ist der Bonner Coach wieder dabei. Winterrath muss feststellen, dass Henkenjohann und der Mainzer Werferhügel wirklich keine Freunde mehr werden. Der Nationalpitcher der Capitals hält diesmal länger durch als im Vorjahr, aber das ist keine Kunst. 2006 wurde der Bonner noch vor dem zweiten Aus beim Stand von 0:6 ausgewechselt. 2007 ist im zweiten Inning bei einer 6:1-Führung der A’s Feierabend für Henkenjohann. Weil Sascha Lutz im dritten Durchgang per Homerun auf 10:1 erhöht, schenken die Bonner das Spiel direkt weg. Alle Nachwuchspitcher dürfen auf den Hügel, alle kassieren ihre Runs. 21:2 steht es am Ende. Ein Debakel für die Caps ohne die ganz spektakulären Szenen.

Nationalität
ger GER
Position
Center field
Alter
40
B/T
L/L
Größe
196
Gewicht
90
Vorherige Vereine
Die gibt es dafür im vierten Spiel der Viertelfinalserie. Wieder beginnt Henkenjohann, und endlich funktioniert das. Miyagi ist leicht angeschlagen und wirft nicht so gut wie sonst, die Mainzer Offensive findet nicht ins Spiel, Bonn führt 3:0, 6:0, nach vier Innings 9:0.

Aber Winterrath tigert an der Seitenlinie auf und ab, gibt Kommandos, coacht intensiv. Die Zuschauer merken: Der Mann ist angespannt. Der traut der Sache nicht. Und er macht den Fehler, der möglicherweise schon in dieser Situation das Spiel kostet: Henkenjohann ist inzwischen doch ziemlich erschöpft, hat das 3:9 kassiert und geht vom Hügel. Für ihn kommt Martin Amparo. Und schon als der sich im Bullpen aufwärmt, versammelt sich die A’s-Prominenz im Scorerhäuschen. Denn sie vermuten, dass der Kubaner gar nicht spielberechtigt ist. Der Protest gegen die Partie steht schnell.

Und das spricht sich auf der Sandflora sofort herum. Vielleicht liegt es daran, dass das Spiel kippt. Die A’s verkürzen auf 5:9. Bonn erhöht auf 5:10, dann vollendet Lutz den sechsten Mainzer Run. Die Bonner bringen einen Pitcher nach dem anderen auf den Hügel. Der Vierte serviert: Single Nils Hartkopf, Single Martin Kipphan, Double Julian Aufenanger, Single Keigo Miyagi. Der Ausgleich. Immer noch kein Aus, alle Bases besetzt. Das Stadion riecht die Sensation. Tobt. Wieder Pitcherwechsel. Der Routinier Mirko Heid soll retten, was längst nicht mehr zu retten ist. Kipphan, Wermuth und Miyagi bringen die A’s im sechsten Inning 13:10 in Führung. Und die Capitals haben nichts mehr entgegenzusetzen.

„Für uns war irgendwie klar, dass wir gegen Bonn gewinnen“, sagt Martin Kipphan. „So oft sind wir im Viertelfinale rausgeflogen, auch als bessere Mannschaft, aber uns war klar, dass das diesmal nicht passiert.“

Meister gegen Schüler

Im Halbfinale wartet der Titelverteidiger. Die Solingen Alligators. Nicht nur für Cae Santos ist das ein besonderes Duell: Schüler gegen Lehrer, Santos gegen seinen Vorgänger Zeke Mitchem, der im Winter nach Solingen wechselte. „Wir haben viel von Mitchem übernommen“, sagt Santos, „aber ein paar entscheidende Dinge haben wir geändert.“ Die Mainzer verschenken kaum noch Aus. Sacrifice Hits, bei denen sich der Schlagmann opfert, um einen Mitspieler weiterzubringen, waren unter Mitchem fest im Mainzer Repertoire, inzwischen kommen sie kaum noch vor. Auch die komplizierte Zeichensprache eines Baseballcoaches wendet Santos selten an. „Ich habe eine sehr erwachsene Mannschaft“, erklärt der Coach. „Ich überlasse den Jungs meistens die Entscheidung, wie sie schlagen.“ Mit Erfolg. Die A’s zählen zu den stärksten Offensivteams der Südliga. „Ich bin gespannt, was herauskommt, wenn ich meine Herangehensweise gegen Zekes ansetze“, sagt Santos.

Nationalität
ger GER
Position
Pitcher
Alter
40
B/T
R/R
Größe
180
Gewicht
85
Vorherige Vereine
Zunächst kommt dabei ein 7:0-Sieg heraus. Manuel Möller eröffnet die erste Partie mit einem Strike. Kaum mehr als zweieinhalb Stunden später macht Max Boldt an der zweiten Base mit einem Hechtsprung zum Ball den Shutout, den Zu-Null-Erfolg fest. Zwei starke Abwehrreihen lassen die Angreifer lange nicht ins Spiel kommen. Alle sieben Punkte holen die A’s im vierten und fünften Inning. Möller, der in den Wochen zuvor etwas geschwächelt hat, erlaubt den Solingern nur vier Hits, acht Runner, keinen Punkt.

Umso anstrengender, umso packender ist das zweite Spiel. Wieder hat Miyagi auf dem Hügel vieles im Griff, aber jetzt zeigen die Solinger ihre Offensivqualitäten. Im dritten Inning wird es zum ersten Mal eng. Alle Bases besetzt, erst ein Aus. Das zweite schafft Miyagi souverän. Dann fliegt ein Pitch am Catcher vorbei. Ganz Solingen rennt los, aber Oliver Kanthak, dem vordersten Läufer, fehlt der Mut. Kanthak macht kehrt, schiebt damit auch seine Kollegen wieder zurück. Und Miyagi kommt per Strikeout aus dem Inning. Durchatmen. Alles gut.

Im fünften Inning gehen die Alligators durch Kai Gronauers Homerun in Führung. Im sechsten gleicht Ulli Wermuth mit einem typischen Ulli-Wermuth-Run aus: Der Catcher greift am Ball vorbei, der Mainzer nutzt die wertvollen Sekunden sofort. Solingen kontert, führt erneut, Flavio Rinaldi schafft mit der letzten Chance das 2:2.

„In dem Spiel wäre ich fast gestorben“, erinnert sich Kipphan. „Der eine Solinger, der gepunktet hat, ist durch meinen Error auf Base gekommen. Der Ball ist im Schneckentempo auf mich zugerollt, verspringt aber zehn Zentimeter vor meinem Handschuh und geht mir durch die Beine.“

Nationalität
ger GER
Position
Catcher
Alter
45
B/T
R/R
Vorherige Vereine
Im ersten Zusatzinning haben Mike Larson und Janusz Radicke das 3:2 auf dem Schläger. Sie vergeben die Chance. Im zweiten ein kurzer Schreck: Miyagi bekommt einen Pitch an die Hand. Muss behandelt werden. Kann weiterspielen. Und im elften Inning hebt Hartkopf den Ball über die zweite Base in die Lücke. Zu hoch für den Verteidiger. Radickes 3:2 entscheidet das Spiel. „Das passte“, sagt Kipphan. „Das passte zum ganzen Jahr. Immer wenn einer etwas verzockt hat, kam jemand anderes und machte es wieder gut.“

Drei Niederlagen haben die Alligators zuvor hinnehmen müssen. Zwei in der Liga, eine im Playoff-Viertelfinale. Nun zwei an einem Nachmittag. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für die Rückspiele. „Ganz Baseballdeutschland hat nicht erwartet, dass wir beide Heimspiele gegen die Alligators gewinnen“, sagt Sascha Lutz, einer von zwei Mainzern mit Endspielerfahrung. 2004 war Lutz mit den Fürth Pirates am damaligen Serienmeister Paderborn Untouchables gescheitert. „Aber der Süden hat die stärkere Liga“, behauptet Lutz, der kurz vor den Playoffs in einer Zeitschrift als einer der 101 coolsten Singles Deutschlands vorgestellt wurde. „Die Mannschaften aus dem Norden müssen erstmal runterkommen und zeigen, was sie wirklich können.“

So laut wie noch nie

Die Rahmenbedingungen sind gut in den Rückspielen. Gutes Wetter, ein schöner Platz, idyllisch gelegen in einem Biotop mit Fröschen, Marienkäfern und einem Fan mit Megaphon, der die ganze Anlange beschallt, ohne irgendjemanden zu etwas zu animieren. Die gute Stimmung am Platz entwickelt sich ohne ihn.

„Die Solinger Fans sind krass“, sagt Kipphan. „Manchmal werden sie persönlich, das ärgert einen schon, aber sie haben fünfzig Trommeln, sie schreien, sind bei jedem Aus dabei, kennen die Spieler. Wie keine anderen Baseballfans in ganz Deutschland sagen sie: Es ist unser Job, unsere Mannschaft zu unterstützen. Viele andere wollen erst etwas geboten bekommen. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.“

Nationalität
can CAN
Position
Outfield
Alter
40
Größe
188
Gewicht
110
Vorherige Vereine
Das Mainzer Publikum ist gereizt. In den Hinspielen haben die Solinger die Sandflora akustisch vollkommen beherrscht. „So etwas wie in den Rückspielen habe ich nie wieder erlebt“, erklärt Kipphan. „Ich stand an der ersten Base und musste Max Boldt an der zweiten anschreien, damit er mich überhaupt versteht. Normalerweise kann ich auf jedem Platz mit normaler Lautstärke mit dem Nebenmann reden. In Solingen ging das nicht, weil die Solinger unglaublich laut waren, unsere aber auch. Jemand hatte eine Bombenalarm-Sirene aus dem Weltkrieg dabei. Das war krass. Es war einfach anders als in den Jahren zuvor. Da ist man zum Halbfinalspiel gefahren und zehn Mainzer haben auf der Tribüne gesessen, weil alle, Spieler wie Zuschauer, gedacht haben: Schon wieder Halbfinale, gegen den Meister auch noch, wahrscheinlich fliegen wir raus. Diesmal war das anders. Die Zuschauer waren heiß, wir haben 2:0 geführt, wir haben daran geglaubt: Dieses Jahr können wir es ins Finale schaffen. War dann ja auch so.“

Die Solinger machen aber von Anfang an ernst. Schon die ersten drei Angreifer scoren. Nach zwei Innings steht es 5:0 für den Meister, nach dreien 6:0. Im vierten und sechsten Inning kommen die Mainzer auf 2:6 und 3:7 heran, aber im siebten Inning ist die Partie vorbei. 13:3 für Solingen. Gegen das starke Angriffsspiel der Alligators und gegen ihre Sacrifice Hits finden die A’s kein Mittel. Die spektakulärste Aktion gehört dennoch einem Mainzer. Mike Larson fängt weit draußen im Outfield einen Flugball, schleudert die Kugel quer über den ganzen Platz an die Homeplate und trägt selbst zum Lärmpegel bei: Das sehenswerte Doubleplay feiert der Kanadier mit wildem Gebrüll.

Schatzsuche im Unterholz

Nationalität
jpn JPN
Position
Pitcher
Shortstop
Alter
40
B/T
L/R
Größe
173
Gewicht
73
Vorherige Vereine
Und im vierten Spiel ist früh zu erahnen, dass die erste Mainzer Finalteilnahme kein unerfüllter Traum bleiben muss. Lutz und Larson legen schon im ersten Inning ein 2:0 vor. Im Prinzip müssen die A’s nur noch dichthalten. Und das klappt ganz hervorragend. Keigo Miyagi macht ein brillantes Spiel, wirft keinen einzigen Walk und hat eine starke Feldverteidigung im Rücken. Larson drischt im sechsten Inning einen Homerun zum 3:0 in den Wald, worauf das halbe Mainzer Publikum im Unterholz verschwindet, die begehrte Trophäe aber nicht findet. Und als um Punkt 18 Uhr Max Boldt den von Julian Steinberg geschlagenen Ball schnappt und zu Martin Kipphan wirft, steht fest: Die Mainz Athletics, die seit 1994 jedes Jahr in den Playoffs und nun schon zum elften Mal im Halbfinale standen und jedes Mal ausschieden, haben es endlich geschafft. Der Deutsche Meister ist entthront, die Nordliga wird erstmals seit zehn Jahren nicht den Titelträger stellen – und der Schüler Cae Santos hat den Lehrmeister besiegt. Dafür gibt es auch von den Solingern fairen Applaus.

Und wieder bestätigt sich Martin Kipphans These vom besonderen Geist der Mannschaft: „Diesmal haut der Mike den wichtigen Homerun. In Mainz hat Nils Hartkopf einen Homerun gehauen auf seinen besten Freund und ehemaligen Mannschaftskameraden André Hughes. Und wenn’s der Kevin Anderson ist, der den Henkenjohann zur Verzweiflung bringt, irgendeiner ist immer da und entscheidet das Spiel.“

Lutz und Manuel Möller verabschieden sich jetzt erst einmal nach Barcelona. Dort werden sie mit der deutschen Nationalmannschaft EM-Vierter. Möller wirft gegen Österreich einen No-Hitter.

Der tödliche Kullerball

Und als das Turnier endlich vorbei ist und die Endspielserie der Bundesliga mit den Auswärtsspielen beim alten Erzrivalen aus Regensburg beginnt, müssen sich die A’s schnell mit dem Gedanken anfreunden, dass ihre erste Finalteilnahme der größte Erfolg der Vereinsgeschichte bleiben könnte. Nach zwei Spielen steht es 2:0 für die Regensburg Legionäre. Das 10:0 in der ersten Partie klingt schlimmer, als es war. Die A’s scheitern an vielen Kleinigkeiten, haben immer wieder gute Chancen, in die Partie zurückzukommen, lassen sie aber liegen.

Viel mehr ärgern sich die Mainzer über das zweite Spiel. Denn in dem führen sie nach vier Innings 5:0. Die Regensburger kontern aber, gleichen schnell aus. In der Verlängerung gewinnen sie 6:5.

„Das erste Spiel verloren? Das passiert“, sagt Kipphan. „Regensburg hat den Manu schon öfter verprügelt. Gegen Bonn haben wir das erste verloren, in Solingen haben wir das erste verloren, das passiert einfach. Wenn man mit 1:1 nach Hause fährt, ist das super. Das zweite war schlimm. Dieser Genickbruch im zehnten Inning. Der Schlag von Mic Weigl war nicht mal gut getroffen, up the middle ins Centerfield. Gerade ein bisschen zu schnell für Keigo, dass er ihn nicht fangen kann, ein bisschen zu weit für Flavio Rinaldi und Max Boldt, ein bisschen zu langsam für Sascha, dass er den Runner nicht mehr kriegt. Vier Spieler wären da gewesen, die den Ball gekriegt hätten, wenn er ein bisschen schneller oder langsamer oder weiter links oder weiter rechts gewesen wäre.“

Der Schock sitzt tief. „Die Nachbesprechung im Rightfield hat sich angefühlt, als hätten wir gerade die Meisterschaft verloren“, sagt Kipphan. „Regensburg hat hinten gefeiert und in diesem Moment die Meisterschaftsringe bestellt. Und wir haben gesagt: Regensburg ist seit Jahren immer ein kleines Stück vor uns. Gegen die gewinnen wir nur mit Glück. Wenn wir die knappen Spiele gewinnen.“

Das größte aller Comebacks

Um jetzt noch den Titel zu holen, müssen die Mainzer beide Heimspiele gegen die Legionäre und das dann fällige Entscheidungsspiel auf deren Platz gewinnen. Sobald auch nur eins dieser Spiele verloren geht, ist die Saison vorbei und die Regensburger sind erstmals Deutscher Meister. Was nicht einmal unverdient wäre: Auch die vier Begegnungen in der regulären Saison haben die Legionäre schließlich gewonnen. „Aber es ist nie vorbei, bis das letzte Aus gemacht ist“, verkündet Cae Santos. Der Coach der Comeback-Spezialisten verliert auch in dieser kniffligen Lage seinen Optimismus nicht vollends. Noch nie hat jedoch eine Mannschaft die Playoff-Finalserie nach zwei Niederlagen in den ersten zwei Spielen noch drehen können.

Nationalität
ger GER
Position
First base
Alter
40
B/T
R/R
Größe
177
Gewicht
107
„Wir hatten nichts mehr zu verlieren“, sagt Kipphan. „Wir konnten ganz entspannt in die Spiele in Mainz gehen. Der Vorstand wollte uns zeigen, dass er trotzdem auf uns stolz ist, und hat T-Shirts bestellt, auf denen eben nicht ,Deutscher Meister‘ oder ,Deutscher Vizemeister‘ stand, sondern ,Deutsches Baseballfinale‘. Normalerweise hätte man noch eine Woche gewartet, aber sie wollten uns da schon zeigen, dass wir eine besondere Saison gespielt haben. Und wir wussten: Ein 0:2 hat noch niemand aufgeholt. Wir spielen gegen das Team, gegen das wir alle sechs Spiele verloren haben und schon oft abgeschlachtet wurden. Man fährt vom schönsten Stadion in Deutschland in unser Loch. Aber genießen wir’s halt mal.“

Die Mainzer schaffen die Wende. In der dritten Partie bieten sie ihrem Publikum ein tolles Spiel. Die Legionäre gehen zwar sofort 1:0 in Führung, haben aber von da an gar keine Chance. Unter anderem durch zwei Homeruns (Sascha Lutz, drei Punkte; Martin Kipphan, zwei Punkte) legen die A’s bis ins achte Inning ein 9:1 vor.

„Dort haben wir 0:10 verloren, auf einmal führen wir 9:1“, sagt Kipphan. „Und wir fragen uns: Warum eigentlich nicht?“
Aber einfach so bricht alles zusammen. Es mag simpel klingen, einen Acht-Punkte-Vorsprung über die letzten drei Aus zu bringen, aber den A’s gelingt das selbst mit drei Pitchern nicht. Der starke Rückhalt Manuel Möller ist schon ausgewechselt. Sein Reliever Nils Hartkopf leistet sich ein fürchterliches Inning. Zwei Walks und ein Hit füllen die Bases und aus dieser Drucksituation kommt Hartkopf nicht mehr heraus. Das zweite Aus schafft er noch, vier weitere Walks bringen das 9:5. Florian Arnold übernimmt und macht genau so weiter: Drei Gegner, drei Walks, 9:8. Alle drei Bases permanent besetzt. Die Regensburger machen gar nichts mehr, stehen nur herum und sehen zu, wie die Bälle an ihnen vorbeifliegen. Die Feldverteidiger müssen machtlos beobachten, wie die klare Führung verschwindet. Wenn der Pitcher schlecht wirft, können sie ihm nicht helfen. „Ein Alptraum“, sagt Cae Santos.

„Aus dem Inning sind wir rausgekommen, weil der Regensburger Coach gedacht hat, dass er stealen muss“, erinnert sich Kipphan. „Wir dachten: Warum rennst Du überhaupt? Wir können die ganze Zeit an der Platte kein Aus holen, da gibt man dem Gegner doch keine Möglichkeit, es woanders zu holen! Aber schwups, lässt er ihn rennen und er ist aus. Wir hätten nochmal selbst hauen können, aber das wäre seine Führung gewesen.“

Nationalität
ita ITA
Position
Catcher
Second base
Alter
38
Vorherige Vereine
Der Vorsprung ist aber komplett vergeigt, es geht in die Verlängerung. Und in der fängt auch der Regensburger Reliever Philipp Hoffschild an, die Bases herzuschenken. Bei zwei Aus und Bases loaded ballert Flavio Rinaldi schließlich den zweiten Pitch irgendwie aufs angrenzende Softballfeld. Erst lange nach dem Spiel stellte sich heraus, dass es gar nicht der vermeintliche Grand Slam Homerun zum 13:9 war, sondern der Ball vor dem Zaun aufgesprungen ist. Egal. 10:9 reicht ja.

Auch die Sonntagspartie beginnt mit einem 1:0 für Regensburg. Martin Kipphan gleicht sofort mit einem Homerun über den hohen Leftfieldzaun aus. Ulli Wermuth bringt die Mainzer in Führung. Sascha Lutz legt in einem engen Duell spät das 3:1 nach. Der Endstand. Die A’s haben sich ins Entscheidungsspiel gerettet. Das findet schon drei Tage später statt.

„Wir dachten: Wir haben das erste Spiel gewonnen, hätten es sogar deutlich gewonnen, wenn nicht diese Katastrophe auf dem Mound passiert wäre“, sagt Kipphan. „Wir haben das zweite Spiel gewonnen, wir hatten dort das zweite nur mit Pech verloren. Also nochmal: Warum eigentlich nicht auch das fünfte gewinnen? Wir waren wie beflügelt. Aber es war auch super, wie die Fans uns in den beiden Heimspielen unterstützt haben. Dazu kam ja noch, dass es Janusz’ letztes Heimspiel war. Der Gewinn der Meisterschaft ist immer krass, aber von diesen fünf Spielen haben das dritte und vierte den meisten Spaß gemacht – abgesehen von diesem neunten Inning.“

Die letzte Etappe

Noch nie hat eine Mannschaft die Playoff-Finalserie nach zwei Niederlagen in den ersten beiden Spielen drehen können. Ebenso hat in der amerikanischen Major League, wo vier Siege benötigt werden, nie eine Mannschaft ein 0:3 in der World Series aufgeholt – bis sich die Boston Red Sox 2004 nach drei Niederlagen gegen die New York Yankees durchsetzten. Das wollen die A’s nun nachmachen.

Und Nils Hartkopf, der 2006 mit Solingen den Titel gewonnen hat, ist jetzt erst richtig angriffslustig: „Der Druck wird auf jeden Fall noch krasser als in den letzten beiden Spielen, mit denen wir die Serie ausgeglichen haben. Für die Legionäre wird es aber härter als für uns, weil sie immer noch Favorit sind. Vor dem letzten Wochenende standen wir mit dem Rücken zur Wand, jetzt sie. Ich glaube sehr stark daran, dass wir das schaffen.“ Soweit es 19 Innings vom Wochenende zulassen, ist die Mannschaft in gutem Zustand. „Eine Menge Muskelkater, aber den haben die Regensburger auch“, sagt Cae Santos. „Das Wochenende merkt man schon“, stimmt Hartkopf zu. „Aber ein Endspurt ist noch drin.“ Und auch in diesem Bereich sieht der Mainzer die Legionäre in der unangenehmeren Lage: „Durch die lange Rückfahrt sind die jetzt wohl richtig fertig!“

Nationalität
ger GER
Position
Outfield
Alter
43
Vorherige Vereine
Vor 1.400 Zuschauern passiert in der Regensburger Armin-Wolf-Arena sechs Innings lang gar nichts. In einem Abnutzungskampf zweier Mannschaften, denen man die hohe Belastung, aber auch die Konzentration ansieht, sind die Mainzer die etwas bessere Mannschaft, aber die Regensburger lassen nichts zu. Erst im siebten Inning nutzen Nils Hartkopf, Ulli Wermuth und Keigo Miyagi mehrere Abwehrfehler zur 3:0-Führung. Die Regensburger reagieren wütend. Sie prügeln die Bälle bis weit an den Zaun und die A’s können froh sein, ein Auswärtsspiel zu haben. Im kurzen Leftfield der Sandflora wären das Homeruns. Auf dem größeren Regensburger Platz ist Wermuth zur Stelle. Im achten Inning verkürzen die Legionäre mit ihren ersten Hits des Tages auf 3:2. Im neunten erhöhen Wermuth, Sascha Lutz und Mike Larson auf 6:2. Die Mainzer lassen einen weiteren Run zu. Regensburg macht noch einmal Druck. Miyagi, der Held der Playoffs, wird nervös, fahrig, macht plötzlich Fehler. Und dann misslingt der letzte Schlag der Legionäre. Nils Hartkopf hat den Ball. Wirft ihn an die erste Base zu Martin Kipphan. Aber der Wurf ist schlecht, viel zu kurz. Kurz vor der ersten Base klatscht der Ball in den Dreck.

„Es war kein gutes Spiel“, sagt Kipphan. „Das war auch nicht zu erwarten. Alle waren angespannt und müde. Die ganze Zeit hatte man das Gefühl: Wer als erstes punktet, der gewinnt. So war es auch. Der Nils hat den ersten Run geschafft und wir haben auf einmal unser Ding gemacht. Im letzten Inning kamen unsere Errors. Ich dachte: Oje, hoffentlich läuft das jetzt nicht wieder wie in Mainz. Beau Milner war am Schlag, ein sehr guter Hitter, mit Leuten auf Base. In so einer Situation will man unbedingt das letzte Aus machen, aber man will auf keinen Fall, dass der Ball zu einem kommt.“ So groß ist die Anspannung jedes einzelnen Spielers, dass keiner etwas dagegen hätte, wenn die Kollegen das entscheidende Play machen. „Dann hat der Nils auf einmal den Ball in der Hand und wirft ihn mit angezogener Handbremse, feuert ihn mir vor die Füße, in den Boden. Er war auch unglücklich, dass auf ihn geschlagen wurde, aber gleichzeitig happy, dass er das Aus gemacht hat.“

Denn Kipphan, für Manuel Möller „der beste First Baseman, den wir je hatten“, schnappt sich den Aufsetzer. Und in diesem Moment am 3. Oktober 2007, einem Mittwochnachmittag, kurz vor vier Uhr, sind die Mainz Athletics Deutscher Baseballmeister. Der Jubel der Spieler und der vielen mitgereisten Fans ist riesengroß.

Am Ziel

„Uns war sofort klar: Wir sind Deutscher Meister“, erinnert sich Kipphan, „Wie fühlt sich das an? Unbeschreiblich. Ich habe irgendwann dem Klaus Wolf in den Armen gelegen und geflennt. Wir könnten jetzt den Duden rausholen und Adjektive suchen, aber es ist schwer zu beschreiben.“

Im Moment ihrer größten Niederlage erweisen sich die Regensburger als gute Gastgeber. „Sie sind ja zu Recht so unglaublich stolz auf ihren Platz“, sagt Kipphan. „Und auf einmal feiern da hundert wildfremde Leute – aber man muss ihnen lassen: Sie haben es uns erlaubt. Ich hätte mich an ihrer Stelle schon aufgeregt, aber wäre wahrscheinlich nicht zu denen und hätte sie vom Platz gejagt. Das haben sie auch nicht gemacht.“

Nationalität
ger GER
Position
Pitcher
Catcher
Infield
Alter
36
B/T
R/R
Größe
183
Gewicht
99
Vorherige Vereine
Mike Larson hat es die ganze Zeit geahnt. „Das wird wie im Film“, hat er vor dem Spiel gesagt. „Wir fangen schlecht an, werden immer besser, kommen ins Finale, liegen in Rückstand und gewinnen den Titel.“ Es ist kein Film. Es ist wirklich passiert. „Viele können das aber noch gar nicht glauben“, sagt Santos. Martin Kipphan schwärmt von der Geschlossenheit der Mainzer Mannschaft: „Wir sind immer ein Team. Das macht uns aus. Im vierten Spiel war ich der Held, mal ist es Sascha Lutz, mal Manuel Möller, mal Max Boldt. Irgendjemand ist immer der Held. Wir halten zusammen. Und wir haben super Fans. Das macht uns stark.“

Bei zwei alten Helden ist ein bisschen Wehmut dabei. Für Janusz Radicke und Ulli Wermuth war es das letzte Spiel der Karriere. „Mit dem Titel kann man gut leben“, sagt Radicke. Und Wermuth ergänzt: „Wenn man schon aufhören muss, dann so.“

Stunden später kommen die müden Spieler in Mainz an. Kipphan verrät die Gedanken im Bus: „Was machen wir eigentlich noch? Wir sind zu kaputt, um noch wegzugehen, außerdem ist Mittwoch, vielleicht trinken wir noch ein Bier auf dem Platz, aber so cool ist das auch nicht.“

Mit dem Empfang an der Sandflora haben sie nicht gerechnet. „Es war klasse von den Fans, dass sie auf uns gewartet haben“, sagt Kipphan. „Wir wussten wirklich nichts davon. Sonst hätte ich dem Janusz den Pokal gegeben. Der stand halt neben mir auf dem Sitz, ich dachte: Wir steigen aus, ich nehme ihn halt mit ins Vereinsheim, und stehe auf einmal vor dieser Fackelreihe, wo mir der ganze Verein zuklatscht. Ich habe das im ersten Moment gar nicht verstanden, bis ich gemerkt habe: Ach so, ja, hier, der Pokal!“

Dem scheidenden Kapitän gönnen es die Spieler am meisten: „Janusz war ja immer dabei“, sagt Kipphan. „Es hieß immer: Dieses Jahr werden wir Meister – Aus im Halbfinale. Dieses Jahr werden wir Meister – Aus im Viertelfinale. Dieses Jahr werden wir Meister, wir haben den besten Trainer im Land – Bumm, Trainer weg, Aus im Halbfinale. Janusz hat so viele furchtbare Momente mitgemacht. Ich habe in den Finalspielen oft an ihn gedacht. Er hat es verdient, dass er in seinem letzten Jahr die Meisterschaft wirklich gewinnt.“  cka / Fotos: Tanja Szidat, Manfred Holzhauser

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